I+G-Seminar "Methoden und Werkzeuge des Wissensmanagement im Unternehmen",
Uni Tübingen, WS 01/02
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Erhalt von impliziten und explizites, unternehmenswertvollem Wissen
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Robert Sösemann, Hendrik Wehrum
Abstract (Mikroartikel):
Der starke Trend
zur Dienstleitungsgesellschaft und Trend weg von der
Güter-produzierenden Industriegesellschaft haben die
Voraussetzungen und Grundlagen der meisten Unternehmen stark
verändert. Weniger Arbeit, Boden, Kapital als viel mehr
Expertise und Know-How -
also Wissen - sind heute der
entscheidende Erfolgsfaktor.
Was
für komplette globale Firmen wahr ist, gilt erst recht für
ihre vielen spezialisierten Abteilungen. Ihr Erfolg bei der
team-internen Nutzung vorhandenen Wissens, bestimmt oft nicht nur
über ihr firmenweites Ansehen oder Forschungsgeldern, sondern
oft auch über den eigenen
Fortbestand in einer Zeit der
Stellenstreichung und Rationalisierung
uneffizienter
Unternehmenssparten.
Die folgende Case Study und der
dazugehörige Vortrag, soll diese neuen Erfordernisse genauer
erörtern und Methoden vorstellen, wie sowohl implizites als
auch explizites Wissen nutzbringend innerhalb großer
Abteilungen augetauscht, gespeichert und haltbar gemacht werden
können.
Die Persistenz(=personenungebunde Haltbarkeit)
von Wissen, ist vor allem dann wichtig, wenn vermieden werden soll,
dass mit Ausscheiden erfahrener Mitarbeiter das Unternehmen auch
seine wertvolle Expertise verliert.
Es werden Wege genannt, wie
derartiges Wissen an neue Mitarbeiter weitergegeben werden
kann.
Auch wird auf die nötigen Änderungen in der
Unternehmenskultur und -organisation eingegangen.
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Dieses
Dokument findet sich auch online als PDF/TXT-File
unter:
http://homepages.uni-tuebingen.de/student/robert.soesemann/wima.pdf/txt
(und
im Januar ´02 direkt auf den Seiten der kurseigenen
Webcommunity)
Ebenfalls
findet am 4. Februar '02 eine Präsentation der Kernthesen vor
dem gesamten Kurs statt.
Abteilungen in
den heutigen Unternehmen sind oft sehr spezialisiert. So finden sich
dort zwar wie überall im Unternehmen Menschen mit verschiedenen
Schwerpunkte, haben diese doch meist alle große inhaltliche
Gemeinsamkeit. Aus diesem Grund ergibt sich innerhalb der Teams
weniger
das ansonsten übliche Problem, bei der
Wissensvermittlung unterschiedliche Sprachen zu
sprechen.
Nichtsdestotrotz haben die Teammitglieder
unterschiedliche Projekte und Erfahrungen, die ihren Kollegen
nutzbar gemacht werden sollten.
Da es durchaus üblich
ist, das in einer Abteilung zwei Teams jeweils an unterschiedlichen
Projekten arbeiten, ergibt sich folgendes Problem:
Obwohl die
Teams jeweils vom Wissen des anderen profitieren könnten,
verhindert das klassiche teambezogene Projektmanagement einen
direkten Wissensaustausch. Verschlimmert wird dies noch dadurch,
dass innerhalb einer Abteilung, einzelne Projektteams manchmal sogar
gegeneinander um Effizienz und höchsten wirtschaftlichen Erfolg
konkurrieren.
Um explizites, meist projektbezogenes Wissen zu verteilen, bitten sich die klassischen FaceToFace-Meetings an. Diese finden meist wöchentlich statt und haben meist Klärung aktueller Fragen oder Informierung aller über den aktuellen Projektstand zum Inhalt. Damit das Teams für eventuelle Fragen über die aktuellen Aufgaben anderer Mitarbeiter informairt ist, sollte in jeder Beschrechung auch Zeit zur Verfügung stehen, mitarbeiterbezogene Reviews der vergangenen Woche abzugeben.
Für den häufigen Fall,
dass die Mitarbeiter räumlich weit auseinander liegen, bitten
sich Videokonferenzen an. (siehe Literatur A, S. 134)
Inhalte
die nicht zeitgleich diskutiert sondern eher dokumentiert werden
müssen, können webtauglich im
Firmen-/Abteilungs-/Projektintranet publiziert und über
Web-Techniken, wie Bulletin Boards, Chatforen, Newssysteme um
interaktive Rückkanäle erweitert werden.
Damit
Mitarbeiter solche ungewohnten Methoden auch gewinnbringend nutzen,
muss neben den unten beschriebenen wichtigen Änderungen in der
Unternehmenskultur, vor allem auch der Umgang mit relevanten
Dokumenten nachhaltig gefördert und standardisiert werden.
Um
explizites Wissen abzulegen und für alle abrufbar zu machen,
bieten sich neben dem klassischen Internet auch zahlreiche
Dokumentenmanagementsysteme an (z.B. Lotus Notes).
Diese
automatisieren den Export aller Informationsformate in ein
einheitliches System und unterstützen die wissenbasierte Suche
darin. Alle dokumentierbaren Informationsstücke (z.B.
Präsentationen, Memos, Meetingprotokolle, Emailkonversationen,
Projektplanungen) können
jeweils projekt- und themenbezogen
abzuspeichern. Zusätzlich lassen sich viele dieser Programme
auch zu Groupwaretools erweitern, womit nicht nur ein gemeinsames
Abspeichern, sondern auch die gemeinsame Arbeit und der der Abgleich
untereinander an den Dokumenten möglich wird.
Um
ortsungebunden und systemunabhängigen Zugriff zu ermöglichen,
bietet z.B. Lotus Notes auch eine Webschnittstelle, mit der alle
Inhalte auch automatisiert ins Intranet gestellt werden können.
Die
Einführung und Gewöhnung der Mitarbeiter an die Nutzung
und den Wert einen solchen Softwaretools sollte in der ersten
Übergangsphase durch einen nur für das Wissensmanagement
verantwortlichen Mitarbeiter durchgeführt werden. (siehe
Literatur B, S. 222-226)
Dieser sollte helfen, die
Mitarbeiter bei der anfangs ungewohnten Filterung und
Zweitaufbereitung für das System zu unterstützen, bis es
derart viele wertvolle Daten enthält, das eine rege Nutzung
durch alle Mitarbeiter lukrativ und etabliert ist. Auch die
Steuerung und Evaluierung des gesamten Veränderungsprozesses
sollen seine Hauptaufgaben sein. Ziel sollte es jedoch sein später
auf diesen KM-Chef zu verzichten und das System evolutionär
weiterentwickeln zu lassen.
Da die
wesentlich wertvollere Wissensquelle von Abteilungen in den Köpfen
der Mitarbeiter steckt, nämlich deren Erfahrung mit typischen
Projektsituationen, fundiertes inhaltliches Wissen oder gute
Kundenbeziehungen, ergibt sich folgendes Problem:
Scheiden
diese Mitarbeiter wegen Pensionierung, Abteilungswechsel oder
Rationalisierung zugunsten Jüngerer aus, kann das Unternehmen
wertvolle "Erinnerungen" verlieren, die sich neue
Mitarbeiter
wieder über Jahre aneignen müssen.
Um
dies zu vermeiden, haben vor allem japanische Firmen, das
Mentorenmodell etabliert, bei dem alte Mitarbeiter, bereits lange
vor ihrem Abgang ihre Nachfolger als Paten betreuen. In einer Art
"Meister-Lehrling"-Verhältnis arbeiten beide an
gemeinsame Projekten, betreiben regen Gedanken- und
Wissensaustausch, wobei der neue Mitarbeiter oft ganz unbewusst die
Fertigkeiten übernimmt (=Internalisierung). (siehe Literatur A,
S. 135 ff u. B, S.229)
Auch in Fällen, wo ausgeschiedene
Mitarbeiter nicht direkt durch neue ersetzt werden, muss Know-How
nicht verloren gehen. So könnten Unternehmen sie rechtzeitig
vor dem Ausscheiden oder konstant während der gesamten
Beschäftigungsdauer zur regelmäßigen Dokumentierung
ihrer Einsichten und relevanten Erfahrungen auffordern (Best
Practices, Lessons Learned, zusammenfassende Mikroartikel).
Diese
können dann entweder in einem der vorgestellten
Wissensdatenbanken verfügbar gemacht werden oder in Form von
schriftlichen Guidelines, Verfahrensanweisungen und Checklisten in
das Unternehmenswissen übergehen.
Komplexes implizites
Wissen und Erfahrungen könnten ehemalige Mitarbeiter auch nach
ihrem Ausscheiden weiterhin durch freiberufliche Beratertätigkeit
oder durch Schulungen im Rahmen von Traineeprogrammen an neue
Mitarbeiter weitergeben.
Ziel aller Methoden sollte die lernende Organisation sein, in der in einer Art Firmengedächtnis personenungebunden Wissen gespeichert wird. Nur so kann die Lernkurve beim Wechsel von Mitarbeitern effizienter ansteigen.
Fast die
komplette WM-Literatur ist sich einig, dass viele der vorgestellten
Methoden mit einer Änderung der Unternehmenskultur einhergehen
müssen.
Denn nur Manager die den Wert von spontanen
Gesprächen zwischen den Mitarbeitern kennen, werden dafür
auch die notwendigen Rahmenbedingungen bzw. Freiräume
schaffen.
Generell sind flache Unternehmenshierarchien von
Vorteil, die Wissensdiffusion im Unternehmen und damit positive
Ausbeute an erfolgreichen Ideen zu vergößern. Nur wenn
auch weniger einflussreiche Arbeiter, mit guten Ideen Einfluss haben
können, wächst ihre Identifizierung mit der Firma, ihr
Verantwortungsgefühl und Engagement für die
Unternehmensziele.
Viele der in der Literatur beschriebenen
Ansätze erscheinen jedoch naiv und mehr als unrealistisch, da
sie den Interessenkonflikt zwischen Unternehmen und Mitarbeitern
ignorieren. In einer Zeit in der kaum etwas so gilt, wie dass Wissen
Macht, Zukunftsicherung und Stellung bedeutet, und in der sogar die
meistens Senkrechtstarter der NewEconomy mit ihren "offenen
Türen" und Kickertischen kläglich an der Realität
gescheitert sind, ist es Illusion zu meinen all dies würde ohne
Zwang funktionieren.
Statt auf die Ethik der Mitarbeiter zu
hoffen, müssen Firmen Leute nach ihrer Fähigkeit Wissen zu
teilen einstellen, beurteilen und auch entlassen. Dies kann z.B.
durch die sog Balanced Scorecards umgesetzt werden, die jedem
Mitarbeiter dannach bewerten wie oft er Wissentransfer betrieben hat
und wie hilfreich dies für die Abteilung war. Auch müssen
sie müssen kurzsichtige Ziele vorrausschauend zurückstellen,
Querdenker und kreative Fehler zulassen und den üblichen
kreativitätshemmenden Zeitdruck auf die Angestellten
dämpfen.
Erstrebenswerte Anreize(Firmenanteile,
Beförderungen, Zusatzleistungen) müssen es Mitarbeitern
attraktiv machen, im Team für das Unternehmen Erfolge zu
erzielen.
Solang Arbeitnehmer aber letztendlich doch wissen,
dass die Unternehmen einzig und allein um ihren Erfolg zu
maximieren, deren Wissen "aussaugen" und sie dann
wegrationalisieren wird dies aber nicht passieren.
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Kernthesen:
Hauptwert heutiger Unternehmen = Implizites Wissen der Mitarbeiter
Anpassungsbedarf klassischer Unternehmenskulturen an neue Erfordernisse
Wichtigkeit spontanen, unstrukturierten, kreativen Austauschs (offline: Kommunikationsecken, online: Communities of Practice)
Anwendung von Methoden zum Erhalt/Weitergabe impliziten und expliziten Wissens ausscheidender an neue Mitarbeiter
Nutzung technischer Möglichkeiten(z.B CMS, Intranet) zur Speicherung und Nutzung expliziten Teamwissens
Technik ist kein Ersatz für direkten, persönlichen Austausch, sondern oft Hindernis (siehe Literatur C, S. 188)
Wissensmanagement ist unsere Meinung nach hauptsächlich ein wirtschaftliches Ziel von Unternehmen, weniger von deren Mitarbeitern - wer das ignoriert ist naiv und unrealistisch
Offene Fragen:
Wie kann der Bedarf persönlicher FaceToFace-Kontakte auch in Zeiten des virtuellen Büros erfüllt werden?
Wie sind die geforderten Freiräume vereinbar mit dem enormen Zeit- und Effizienzdruck der Firmen in der aktuellen Wirtschaftsflaute?
Können kurzsichtige monetäre Anreizsysteme zum Wissensaustausch ethische Motive in der Ellenbogengesellschaft ersetzen?
Woher bekommen die Mitarbeiter die Kompetenz/Fertigkeiten, Wissen effizient und erfolgreich zu vermitteln?
Literatur:
"Erfolgsfaktor Wissensmangement"; D.Herbst; CORNELSEN ; 2000
"Managing Knowledge"; Probst, Raub, Romhardt; WILEY; 2001
"Wenn Ihr Unternehmen wüsste, was es alles weiss"; Davenport, Prusak; MI, 1999
diverse Onlinedokumente zum Themenbereich "Wissensmanagement"